Seit 2023 interveniere ich in Ausstellungen mit orts- bzw. themenbezogene Texttafeln (Laserschrift auf Schiefer, je 20 x 30 cm), die die Betrachtenden diskursiv ansprechen und zum Hinterfragen des Ausstellungsortes bzw. der jeweils verhandelten Thematik anregen sollen.

Zweiteilige Installation 'La Guerra é ...' im Rahmen der Gruppenausstellung 'WAR / Guerra - People's impotency'

Ort: Galleria VISIONI ALTRE, Venedig; Kuratorin: Adolfina de Stefani

Zeit: Januar / Februar 2024

sowie in der Gruppenausstellung "SALOTTI IN SUBBUGLIO" 

Ort: L’ass. Meta Forte (Kulturverein in Venedig), Cavallino-Treporti (Venezia)

Zeit: Juni - September 2024

Anlässlich des Gedenktages am 27. Januar 2024, der jährlich auf dem Campo del Ghetto Novo in Venedig begangen wird, lud die Galerie VISIONI ALTRE Künstler dazu ein, über das Thema Krieg nachzudenken. Die ausgestellten Werke, die sich in Sprache und Forschung unterscheiden, untersuchten, "wie sehr die Welt schon immer Schauplatz von Gräueltaten war und jeder Krieg eine unvernünftige und egoistische Schöpfung des Menschen ist."

Die im Stadtteil Cannaregio, im Herzen des jüdischen Ghettos von Venedig, gelegene Galleria VISIONI ALTRE ist in erster Linie eine Organisation zur Förderung der zeitgenössischen Kunst mit dem Ziel, die künstlerische Forschung zu fördern, kreative Aktivitäten zu unterstützen und die Neugestaltung von Räumen durch die Kunst aufzuwerten.  "VISIONI ALTRE" bedeutet die Verwirklichung eines Projektsystems, das die Entwicklung von Ideen und Werken frei von Markteinflüssen fördert.


 

Bodeninstallation im Rahmen der Gruppenausstellung ZUMUTUNGEN der Künstlervereinigung 'Offenes Ateliers Bielefeld e.V.'

Ort: Lobby der Volksbank Bielefeld-Gütersloh

Zeit: Februar bis Juli 2024

Die  Schrifttafeln 'ZEIT-GELD-MACHT' sind anthrazitfarben, an den Rändern gefräst und erhalten so eine natürliche Erscheinung. Sie sind auf dem Boden nebeneinander in linearer Ausrichtung vor einer Wand angeordnet.

Die drei Wörter in ihren dualen Konstellationen laden die Betrachtenden ein, über die begrifflichen Zusammenhänge von ZEIT, GELD und MACHT nachzudenken. Vielleicht wird dies von manchem als Zumutung empfunden, aber was liegt näher, als an diesem besonderen Ausstellungsort, dem Foyer eines Geldinstituts, solche Reflexionen zu provozieren? Wobei Lesarten und Deutungen durchaus variieren können:

Der Aphorismus „Zeit ist Geld“ („Time is Money“) verweist auf den Umgang mit der Zeit als philosophisches Grundproblem der Ökonomie und geht auf das 1748 erschienene Buch „Ratschläge für junge Kaufleute“ des englischen Moralisten Benjamin Franklin zurück. Darin erläuterte dieser, dass zeitnahe kaufmännische Entscheidungen gegenüber der Konkurrenz geldwerte Vorteile versprechen. Eine andere Lesart könnte auch auf antike Vorstellungen zurückgehen, wonach Zeit im Leben jedes einzelnen Individuums wertvoller als Geld und ein kostbares Gut ist, das genutzt werden sollte.

Mit Geld verfügen Menschen über Menschen. Die Macht dazu verleiht ihnen das Geld. Diese Verfügungsmacht, zunächst über Dinge, zuletzt jedoch ausnahmslos über Menschen, ist das Geld. Wer im Besitz von (viel) Geld ist, der hat potentiell Macht gegenüber seinen Mitmenschen, Geschäftspartnern und Konkurrenten, die er etwa zum Mehren des eigenen Vorteils, zum Ausschalten von Mitwettbewerbern oder auch für gesellschaftliche und gemeinnützige Zwecke ge – bzw. missbrauchen kann. Am Ende ist allerdings diese Macht – wie alles von Menschen Gemachte – zeitlich begrenzt und vergänglich. Die Destabilisierung der Finanzmärkte, Bankenkrisen und Inflation als Folge von (Wirtschafts)Kriegen, um nur einige Beispiele zu nennen, zeigen diese Grenzen deutlich auf.

Mit dem Konzept für eine dreiteilige Bodenskulptur, ‚ZEIT-GELD-MACHT‘ knüpfe ich mittels anderer Realisationsmedien an meine bildnerischen und skulpturalen Arbeiten zum Themenfeld Vanitas / Vergänglichkeit an, das mich - mit einigen Unterbrechungen - mein künstlerisches Leben lang begleitet (vgl. die frühe Grafikserie ‚Friesland‘ von 1978 sowie die Zyklen ‚Biomorphe Bildwelten‘ und  ‚Täter/Opfer‘).

 

Der Bielefelder Musiker Hajo Bernhard hat sich von der Arbeit zu der Klangcollage 'Moneymaker'  inspirieren lassen. Die Collage besteht aus mehreren Dutzend monitären Klangpuzzeln und ist als Crescendo entwickelt, welches dann zum Schluss desaströs endet:

© Hajo Berhard 2024
 
 

Bodeninstallation im Rahmen der Ausstellung "Von Fern und Nah"

Ort: Arbeitsgericht Bielefeld

Zeit: März bis August 2024

Die Arbeit wurde von der Geschäftsführung des Arbeitsgerichts als provokativ ("für unsere Kunden irritierend") empfunden und deren Entfernung aus der Ausstellung angestrebt. Der Direktor des Arbeitsgerichts setzte den Verbleib des Multiples mit der Begründung der Kunstfreiheit durch. Im Übrigen teilte er die Aussage als in der Praxis bestätigte Erfahrung: Kläger und Beklagte gehen mit der Überzeugung vor Gericht, Recht zu haben und machen häufig die Erfahrung, nicht bzw nicht in vollem Umfang Recht zu bekommen, was nicht selten zu einem rechtswirksamen Vergleich führt.


 

Tischinstallation im Rahmen der Einzelausstellung "MATERIE"

Ort: Produzentengalerie, Bielefeld

Zeit: Februar/März 2025

Die Textcollage kombiniert bekannte erkenntnistheoretische Positionen von Sokrates und Descartes.

Der Titel der Ausstellung ‚MATERIE‘ verbindet bildnerischen Reflexionen über die Faszination und Unfassbarkeit des Universums, über Fragilität und Verletzlichkeit des Planeten Erde, über Selbstzweifel und Demut, über Entstehen und Vergehen menschlicher Existenz. MATERIE bezieht sich zugleich auf die Vielfalt angewandter ästhetischer Mittel in den Arbeiten, die in der Ausstellung mit verdichteten Texten (u.a. Gedichte von Rose Ausländer) dialogisch in Szene gesetzt wurden. Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse bleibt die Einsicht in die Dominanz des Nicht-Wissens, in die Begrenztheit menschlicher Vernunft und dass alles uns Bekannte wie wir selbst ‚nur‘ Materie und somit vergänglich ist. 


 

Dreiteilige Bodeninstallation im Rahmen der Gruppenausstellung des BBK-OWL '8. Mai / 2025 - Erinnerung und Gegenwart'  zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs sowie als Teil der Gemeinschaftsausstellung 'PASSIONEN' (zusammen mit Bahareh Alaei)

Ort: BBK-Atelier / Ravensberger Spinnerei Bielefeld

Zeit: Mai/Juni 2025

Das Multiple 'Krieg ist...' nimmt die gleichnamige Installation wieder auf, die in italienischer Sprache im Jahr 2024 an zwei Orten (Venedig und Cavallino-Treporti) gezeigt wurde. In den beiden BBK-Ausstellungen wurde die Arbeit, die auf einen erinnertes Zitat meines Vaters Günther Bock zurückgeht, mit einer Texttafel kommentiert:

Anmerkungen zu meinem Multiple „KRIEG IST…“

VERGANGENHEIT

Mein Vater Günther Bock, Jahrgang 1922, trat 1933 in Bad Harzburg der Hitlerjugend bei, machte mit 16 Jahren bei der Motor-HJ-Gefolgschaft Zellerfeld-Harzburg den Führerschein Klasse 3 und wurde nach seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker am 5.2.1943 zum Wehrdienst nach Magdeburg (Militärfahrschule) eingezogen.

Im Juli 1943 beginnt sein Kriegseinsatz in Norwegen und führt ihn über Stettin zunächst nach Frankreich und danach nach Polen. Im Mai 1945 wird er von der US-Armee bei Magdeburg auf dem Gebiet der (gemäß der Vereinbarungen im sog. Jalta-Abkommen) sowjetisch besetzten Zone gefangen genommen und wenige Tage nach Kriegsende an die sowjetischen Armee ausgeliefert. Es folgen dreieinviertel Jahre in ukrainischen und russischen Arbeitslagern. Im Juli 1948 wird Günther Bock aus der Kriegsgefangenschaft in Dnjepropetrowsk (UDSSR) entlassen und kehrt als einer von 10 % der überlebenden ehemaligen Wehrmachtsangehörigen seines Jahrgang über das Flüchtlingslager Friedland nach Bad Harzburg zurück.

ERINNERUNG

Ich, sein Sohn Henning Bock, Jahrgang 1955, erinnere mich an einen liebevollen und wenig selbstsicheren Vater, der auf meine Fragen nach seiner Kriegsbeteiligung und der Zeit seiner Gefangenschaft eher ausweichend oder gar nicht antwortete; der wenig schlief und nachts im Traum laut aufschrie; der verbittert davon sprach, er sei um seine Jugend betrogen worden und dass er den Amerikanern nicht über den Weg traue. Vor allem Berichte über den Einsatz von Napalmbomben und andere Kriegsverbrechen der US-Armee im Vietnamkrieg 1964 -73 setzten ihm erkennbar zu. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an seine Worte, die für mich rückblickend auch als Bilanz seiner eigenen Kriegserfahrungen in Erinnerung geblieben sind:

KRIEG IST EIN VERBRECHEN, IMMER UND ÜBERALL.“

GEGENWART

Die Biografie meines Vaters, insbesondere zwischen 1933 und 1948, haben meine künstlerischen Reflexionen in Skulpturen und Tuschelavierungen zum ambivalenten Verhältnis von ‚Täter‘ und ‚Opfer‘ mit beeinflusst, vgl. Zyklus ‚Täter/Opfer‘: vgl. www.henning-bock.de/galerie-zyklus-opfer/

Das Zitat seiner Worte, in der heutigen Zeit geäußert, scheint als pazifistisches Statement naiv zu klingen und dem medialen Mainstream entgegen zu stehen. Angesicht des ukrainischen Verteidigungskrieges gegen die russische Invasion setzt man sich dem Verdacht aus, ein sog. Putin-Versteher zu sein. Und angesichts der verheerenden Bombardierungen des Gaza-Streifens durch die israelischen Armee als Reaktion auf den verbrecherischen Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel setzt man sich beim Äußern des obigen Zitats heutzutage dem Verdacht aus, eine antisemitische oder zumindest pro-palästinensische Haltung zu haben. Oder es werden dem Zitat Relativierungen im Sinne von „Ja, aber…“ mit scheinbar nachvollziehbaren Argumenten entgegnet.

Dass Regierungen, Machthaber, Terrororganisationen usw. aus unterschiedlichen Interessen, die sie jeweils zu legitimieren versuchen, Menschen in den Krieg schicken, um andere Menschen zu töten, ist eine Tatsache. Für mich ist und bleibt das Töten von Menschen im Krieg, wo und in welchen Zusammenhang auch immer, staatlich legitimierter Mord. Somit behält für mich, heute mehr denn je, die Bilanzierung meines Vaters ihre Gültigkeit.